Deir el-Bahari
Text 4: Was macht Sokar in Djeser-djeseru?

Titelbild Deir el-Bahari mit dem ägyptischen Namen der Tempelanlage in Hieroglyphen

Djeser-djeseru

Deir el-Bahari

Der Tempel der Maat-ka-Ra Hatschepsut

Teil 4

Djeser-djeseru

Hieroglyphen: Tempel für viele Millionen Jahre, Tempel des Amun, der Erhabenste der Erhabenen

Tempel für viele Millionen Jahre, Tempel des Amun, der Erhabenste der Erhabenen – so nannten die Ägypter die Tempelanlage in Deir el-Bahari auf der Westbank der alten Königsstadt Theben, dem heutigen Luxor.

Königin Hatschepsut regierte Ägypten vermutlich zwischen 1478/79 - 1457/58 v. Chr.

Sie trug den Thronnamen Maat-ka-Ra, war die Witwe des Pharaos Thutmosis II. und lies die Tempelanlage Djeser-djeseru über drei Terrassen von ihrem Baumeister Senenmut als ihren Totentempel errichten.

Das zentrale Heiligtum auf der dritten Terrasse war dem Gott Amun geweiht. In weiteren Kapellen wurden die Göttin Hathor und der Gott Anubis verehrt.

Die untere Anubis-Halle

Was macht Sokar in
Djeser-djeseru?

Die Tempelanlage Djeser-djeseru besteht aus drei Plattformen. Auf der zweiten Ebene befindet sich rechts außen die untere Anubis-Halle. Bau und Anlage dieser Halle weisen darauf hin, dass es sich funktional um einen vollwertigen Tempel handelte, der alle Elemente für die Verehrung einer Gottheit enthielt. Er war für diese Zwecke unabhängig und eigenständig und sicher wurde er auch so für religiöse Rituale genutzt.

Die Anubis-Halle – eigentlich also der Anubis-Tempel! – wird durch eine offene Säulenhalle betreten. Sie ist etwa elf Meter breit und gut sechseinhalb Meter tief. Zwölf Säulen in vier Reihen stützen die fünfeinhalb Meter hohe Decke. Die vordere Seite ist völlig offen. Die drei übrigen Wände sind überwiegend mit Opferszenen dekoriert. Durch die Mitte der Rückwand erreicht man in gerader Linie einen Gang, angelegt als Vorhalle (Vestibül) für die beiden folgenden kleinen Räume. Am Ende des Vestibüls schließt sich rechtwinklig nach rechts das eigentliche Heiligtum an (Sanktuar), dem wiederum rechtwinklig, nun nach links, ein weiterer Raum angehängt ist (Annex). Ein Gitter verschließt jedoch das Vestibül. Besucher haben derzeit keinen Zutritt.

Die Gottheit, die hier ganz eindeutig im Vordergrund steht, ist Anubis. Der Pharao, der hier seine Beziehung zu Anubis manifestiert, ist Maat-ka-Ra Hatschepsut. Allerdings hat auch die Anubis-Halle nach dem Tod der Hatschepsut mehrere Überarbeitungen und in späterer Zeit Zerstörungen erfahren müssen. Abgeschlagene Reliefs, die danach neu verputzt und übermalt wor­den sind, zeugen davon. Stellenweise ist die neuere Putzschicht längst abgefallen, die Bilder und Texte sind an vielen Stellen nicht rekonstruierbar.

Bild 1

Blick ins Vestibül und der Imiut-Fetisch

Blick durch das Gitter vor dem Zugang zum Vestibül in der Säulenhalle der unteren Anubis-Halle. | Foto: Sabrina | Reiner | CC BY-SA

Blick durch das Gitter vor dem Zugang zum Vestibül in der Säulenhalle der unteren Anubis-Halle.

Rechts hinten ist der Durchgang zum Sanktuar zu sehen. Die Bemalungen der Rückwand sind weitgehend zerstört.

Gut zu erkennen ist der so genannte »Imiut-Fetisch« (weiß auf gelblicher Fläche). Es ist ein an einer Stange hängender Schakalsbalg ohne Kopf und mit abgetrennten Läufen.

 

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Foto: ©by Sabrina | Reiner | CC BY-SA

 

Der Imiut-Fetisch ist eine besondere Darstellungsform des Anubis, die sehr praktisch geeignet erscheint, um Zeremonien und Prozessionen zu begleiten. Weist die Darstellung an dieser Stelle in einer Art stilisierter Tür darauf hin, dass sich hinter der echten Tür rechts im Sanktuar oder im sich anschließenden Annex ein gegenständlicher Imiut-Fetisch befand, mit dessen Hilfe Priester die Anwesenheit des Anubis zelebrierten?

Das Sokar-Relief

An der rechten Wand der Säulenhalle befindet sich eine Szene, die uns überrascht hat: Oberhalb der Nische, in der, wie es zu erwarten war, eine Opferszene mit Anubis zu erkennen ist, tritt ein Gott auf, den wir hier nicht erwartet hatten: Sokar. Und es tritt ein Pharao auf, den wir zwar erwartet hatten, der sich aber dennoch hier eingeschlichen hat und ursprünglich nicht da war: Thutmosis III.

Bild 2

Die Sokar-Szene in der Anubis-Halle

Szene der rechten Seitenwand der unteren Anubis-Halle | Foto: Sabrina | Reiner | CC BY-SA

Die rechte Seitenwand der unteren Anubis-Halle zeigt in direkter Gegenüberstellung zwei Szenen:

In der Nische unten ist hinten Anubis zu sehen. Zu erkennen sind Spuren der Überarbeitungen und Zerstörungen. Mit großer Sicherheit war ursprünglich Maat-ka-Ra rechts neben Anubis zu sehen.

Oberhalb der Nische findet sich eine Opferszene: Thutmosis III. opfert dem Totengott Sokar. Das überrascht, denn es stellt sich die Frage: Was macht Sokar in Djeser-djeseru?

Die Dame im Bild verdeutlicht: Die Figuren des Reliefs sind lebensgroß gezeichnet.

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Foto: ©by Sabrina | Reiner | CC BY-SA

Thutmosis III.

Wir zeigen hier Namenskartuschen, wie sie in der Tempelanlage von Deir el-Bahari zu finden sind und wie sie Thutmosis ab dem 21. Regierungsjahr, nach dem Tod der Maat-ka-Ra, verwendete.

Namenskartuschen des Men-cheper-Ra, Djehuti-mesis-nefer-cheper | Thutmosis III.

Links: Thronname
König von Ober- und Unterägypten,
Men-cheper-Ra
»Beständig ist das Wesen des Ra«

Rechts: Eigenname
Sohn des Ra,
Djehuti-mesis-nefer-cheper
auch zu lesen als: Thot-mosis-nefer-cheper,
»Sohn des Djehuti [= Gott Thot], von gütigem Wesen«

Mehr über Men-cheper-Ra Djehuti-mesis-nefer-cheper, Thutmosis III., erfahren Sie in unserem Artikel Pharaonen - Thutmosis III.

Sokar im Anubis-Tempel

Was uns überrascht, ist das unmittelbare, scheinbar unmotivierte Auftreten des alten Totengottes Sokar im Tempel des Totengottes Anubis. Zwar hatte sich in der Neuzeit Sokar längst im ganzen Land als Gottheit verbreitet, doch seine Anwesenheit hier ist schwer zu verstehen. Womöglich kann sie vage mit seiner Beziehung zu Hathor begründet wer­den, die in Djeser-djeseru eine besondere Rolle einnimmt und wohl die Lieblingsgöttin der Maat-ka-Ra war. Dies würde erklären, warum Maat-ka-Ra nicht an Sokar vorbeikam. Und wo macht ein Gott des Totenreichs mehr Sinn als in einem Tempel, der dem Totenkult vorbehalten war? Doch dafür erscheint mit Blick auf die ganze Tempelanlage dieser Auftritt Sokars hier an dieser Stelle zu nebensächlich.

Uns überrascht zudem Sokars schmucklose Darstellung. Sie wird sicher der Nebenrolle gerecht, die Sokar einnehmen soll, doch die Halle war nicht für einen Sokar-Kult ausgelegt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Sokar in Djeser-djeseru besondere Würdigung erlangt hätte und hier Feste wie das Sokar-Fest begangen wurden. Sokar wird weder im Zusammenhang mit seiner Barke gezeigt, die auf das Sokar-Fest hindeuten würde, noch im Zusammenhang mit anderen Gottheiten, mit denen er zwischenzeitlich längst enge Beziehungen eingegangen ist und gar mit ihnen verschmolz, wie Ptah oder Osiris, und die seine Bedeutung in ägyptischen Pantheon besonders unterstrichen. – Das Sanktuar, und damit der der ganze Tempel, blieb einem Totengott vorbehalten: Anubis.

Die begleitenden Texte oberhalb der Szene nennen ihn »Sokar, der große Gott, Herr des Himmels, Herr der Gesundheit, Herr der Fröhlichkeit. Der Herr, er möge ewig leben, der Herr, der beständig das Was gibt. Der Herr, der gute Gott, [...] der Herr, gemacht von Ra.«

Dieser Text nennt keine Attribute eines Totengottes. Im Gegenteil: Hier ist Sokar Herr der Gesundheit und der Fröhlichkeit. Die Bezeichnung »Herr des Himmels «rückt ihn allerdings näher an Hathor, die, im Gegensatz zu Sokar, ganz klassisch eine Himmelsgöttin war.

Die Formulierung »der Herr, der beständig das Was gibt« ist im Was-Zepter verbildlicht, dem Stab, den Sokar in Händen hält. Das Was-Zepter symbolisiert Glück und wird von Göttern an Menschen gereicht, hier also von Sokar (der beständig das Was, also Glück und Segen, gibt) an Thutmosis III. Allerdings: Sokar ist nicht gerade der Gott, der üblicher Weise das Was-Zepter überreicht. Dagegen gehört das Was-Zepter (wie auch das Anch-Zeichen für Leben) beinahe schon zur Standardausstattung von Anubis. Eine Formulierung wie »Anubis, der Herr, der beständig das Was gibt« würde voll und ganz der ägyptischen Mythologie dieser Zeit und den übrigen Szenen dieser Halle entsprechen.

Womöglich spiegelt die Sokar-Szene zusammen mit dem Text nichts weiter als das neuzeitliche Verständnis Sokars in Theben, der seine Rolle als Totengott weitgehend hinten anstellt und eher als Ergänzung zu Hathor verstanden wird. Gegen diesen Gedanken sprechen aber Abbildungen im Sanktuar, die Hathor und Anubis als Paar zeigen (jeweils mit Was-Zepter), das Hatschepsut Glück und langes Leben verspricht.

Ob und in wie weit dieser Teil der Szene mit Sokar noch dem Original entspricht, dass einst Hatschepsut und Senenmut dort gestaltet hatten, ist unklar. Zumindest ist es denkbar, dass hier eine Überarbeitung in späterer Zeit stattgefunden hatte wie im direkt daneben liegenden Bildteil auch.

Denn eindeutig überarbeitet wurde der rechte Teil des Bildes: Hier ist heute Thutmosis III. zu sehen, der Sokar Wein darbringt. Der Text über dieser Figur erklärt es eindeutig: »Der König von Ober- und Unterägypten, Men-cheper-Ra« [d. i. der Thronname des Thutmosis III.], »Sohn des Ra, Djehuti-mes-nefer-cheper «[d. i. sein im Alter gewählter Eigenname, auch Thot-mosis-nefer-cheper zu lesen].

Klar ist, dass einst an dieser Stelle das Bild der Maat-ka-Ra Hatschepsut in ihrer männlichen Pharaonen-Gestalt abgebildet war und der Text ihre Ehrentitel und in Kartuschen ihre Königsnamen zeigte. Nach ihren Tod lies Thutmosis die Erinnerung an seine Stiefmutter auslöschen. Er ersetzte in Djeser-djeseru beinahe alle ihre Namenskartuschen mit den seinen und passte Bilder und Texte an, soweit es nötig war, um sich selbst als rechtmäßigen König von Ober- und Unterägypten darzustellen, als Liebling der Götter, der ihnen ehrfürchtig dient, als Gott für alle Bewohner Ägyptens.

Wenn die Änderungen im rechten Bildteil so massiv stattfanden und so professionell umgesetzt wurden, dass sie technisch kaum auszumachen sind, wie Wahrscheinlich ist es dann, dass im linken Teil noch das Original zu erkennen ist? Hat sich außer dem Pharao Thutmosis III. auch noch Sokar hier eingeschlichen? Wir wer­den das Rätsel nicht lösen, aber vielleicht ist es gut, einmal kurz da­r­ü­ber nachzudenken.

Sokar

Relief: Der falkenköpfige Gott Sokar | Foto: Sabrina | Reiner | CC BY-SA

Ausschnitt aus Bild2

Die Abbildung in der Anubis-Halle zeigt Sokar mit menschlichem Körper und Falkenkopf.

Der Name ist nicht sicher zu deuten. Der Wortstamm sk scheint ein Verbum des Tuns, des Ablaufs, der (zeitlichen) Bewegung zu enthalten. Ist skr Ausdruck der verstreichenden Lebenszeit, vielleicht des Vergänglichen? Oder Ausdruck des Begleitens und Führens (in das Totenreich)?

Sokar ist im Alten Reich der Gott der Toten. Für die Handwerker der Nekropolen wurde er zum Schutzgott.

Seit der 1. Dynastie (Altes Reich) ist Sokar der Gott der Nekropole von Memphis, Unterägypten. Im Ortsnamen Sakkara (Saqqara) lebt sein Name fort.

Im Mittleren Reich entwickelte sich Sokar als Gott weiter und ging enge Verbindungen mit Ptah und Osiris ein. Eine noch unklare Verbindung besteht zwischen Sokar und Hathor, eine der Hauptgöttinnen in Djeser-djeseru.

Auch räumlich dehnte sich der Sokar-Kult aus. Im Mittleren Reich ist Sokar in der Gegend von Theben aber fast nur im privaten Umfeld belegt, was religiös-kulturelle Veränderungen belegt, begründet durch die Verlagerung der Hauptstadt und verursacht durch Wohnsitzverlagerungen großer Kreise der Bevölkerung von Nord- nach Mittelägypten. Erst in der neueren Zeit ist Sokar, maßgeblich durch das Sokar-Fest, landesweit belegt.

Hieroglyphen: Der Name Sokar | Foto: Sabrina | Reiner | CC BY-SA

Ausschnitt aus Bild 2

Der Name Sokar am Beginn der ersten Textspalte. Die ersten drei Hieroglyphen von oben nach unten lauten: »skr« (»Sokar«).

Ab dem Mittleren Reich ist auch die die Schreibweise mit vier Konsonanten belegt, »skrj«, wie hier verwendet.

Der Text der Sokar-Szene

Der Text in den sieben Spalten über dem Bild
(von links beginnend, zu lesen jeweils von oben nach unten) :

[Spalte 1] «Sokar, der große Gott, Herr des Himmels»
[Spalte 2] «Herr der Gesundheit, Herr der Fröhlichkeit»
[Spalte 3] «Der Herr, er möge ewig leben, der Herr, der beständig das Was gibt»
[Spalte 4] «Der Herr, der gute Gott, [Zeichen unklar] ... der Herr, gemacht von Ra» [gedanklicher Absatz]
[Spalte 5] «Der König von Ober- und Unterägypten, Men-cheper-Ra» [d. i. der Thronname des Thutmosis III.]
[Spalte 6] «Sohn des Ra, Djehuti-mes-nefer-cheper» [d. i. sein im Alter gewählter Eigenname, auch Thot-mosis-nefer-cheper zu lesen]
[Spalte 7] [... zu stark zerstört ...]

Wichtig sind dabei insbesondere die Spalten 1, 5 und 6, in denen die Namen der handelnden Per­so­nen des Bil­des genannt wer­den, während die übrigen Spalten Titulaturen mit for­mel­haf­ten Ho­heits­ti­teln und Ehrenbezeichnung sowie Lobpreisungen enthalten.

Wie sah die Wand einst aus?

Fraglich bleibt, wie Text und Bild einst von Senenmut geschaffen wurden und zu Zeiten der Hatschepsut aussahen. So, wie es hier zu sehen ist und wie wir es heute lesen können, ist es eindeutig mindestens die Überarbeitung aus der späten Regierungszeit des Thutmosis III., die nach seinem 21. Regierungsjahr ausgeführt wurde. Dies belegt die Schreibweise seines Eigennamens mit dem Zusatz «Nefer-Cheper», die Thutmosis III. erst in dieser Zeit verwendet hatte.

Halten wir fest:

  • Wir wissen nun schon, dass Thutmosis III. alle Namenskartuschen und alle möglichen Abbildungen der Hatschepsut in dieser Tempelanlage zerstören, abschlagen und wo nötig mit seinen eigenen Namen und Bildern überarbeiten ließ.
  • Dort, wo heute in der fünften und sechsten Spalte die Namen des Thutmosis zu lesen sind, waren einst die beiden Kartuschen Maat-ka-Ra und Hatschepsut zu lesen.
  • Schaut man sich die Kartuschen des Thutmosis auf dem Foto an, so beeindruckt die perfekte Ausarbeitung. Die Veränderungen wurden offensichtlich mit großem Aufwand äußerst sorgfältig ausgeführt. Nichts deutet darauf hin, dass hier ehemals andere Namen eingemeißelt waren.

Die Ägyptologen sind sich sicher: Der Text ist an dieser Stelle modifiziert wor­den! Wie aber ist es anderen Textstellen ergangen? Zeigen sie sich noch in ursprünglicher Gestalt? Vermutlich nicht! Denn mit der Namensänderung allein ist es oftmals nicht getan: Die Darstellungen waren auf Hatschepsut bezogen und nicht so ohne weiteres auf Thutmosis übertragbar. Die Herausforderung bestand darin, dass die Geschichten, die erzählt und visualisiert wer­den, nach den Änderungen zu Thutmosis passen müssen oder eine neutrale, nicht personenbezogene Handlung wiedergeben.

Hatschepsut - ein weiblicher Pharao

Der abgebildete Pharao rechts zeigt eindeutig männliche Merkmale. Wurde er überarbeitet? Schließlich erwarten wir hier das Bild der Hatschepsut.

Wir wissen, dass Hatschepsut sich sehr oft in männlicher Gestalt abbilden ließ. Um als Pharao anerkannt zu wer­den, trug sie zu besonderen Gelegenheiten einen falschen, angeklebten Bart, den typischen zum Zopf geflochtenen Kinnbart der Pharaonen. Als König von Ober- und Unterägypten war sie genötigt, in der Begegnung mit Göttern in männlicher Gestalt zu erscheinen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass dieser Bildteil noch aus der Zeit der Hatschepsut stammt.

Sokar - ein Gott der Hatschepsut?

Wir haben nun schon einen kleinen Teil der Überarbeitung rückgängig gemacht und sehen nicht länger Thutmosis III., sondern Hatschepsut in männlicher Gestalt, die vor Sokar opfert. Über ihr befinden sich ihre beiden Namenskartuschen.

Wenden wir uns nun Sokar zu. Um ihn ist es schon deutlich schwieriger bestellt: Er taucht m. W. sonst nirgendwo im Tempel auf. Warum gerade hier? Warum wird ihm geopfert?

Betrachtet man die gesamte Wand und versucht man sie als Geschichte zu begreifen, stört diese Szene.

Das Opfer-Ritual im Anubis-Tempel

Szene 1

Vom Eingang aus gesehen beschreibt die erste Szene, wie Anubis die Königin Maat-ka-Ra in die Säulenhalle führt. Eröffnung des Rituals.

Szene 2

Es folgt die Sokar-Szene. Sie zeigt das gegenseitige, ritualisierte Beschenken: Maat-ka-Ra (hier nun: Thutmosis III.) reicht dem Gott Wein, der Gott beschenkt den Pharao dafür mit Glück und Segen (Was-Zepter). Die Szene spielt vermutlich noch in der Säulenhalle.

Szene 3

Die Bilder sind fast völlig zerstört. Zu erkennen ist der Imiut-Fetisch, der offensichtlich von einer Person gehalten wurde oder nahe bei ihr ist. Die Person ist völlig ausgemeißelt, die Begleittexte gelöscht. Das lässt vermuten, dass hier Hatschepsut zu sehen war.

Die Szene könnte einst das Ritual beschrieben haben, das sich im Sanktuar abspielte, dem Ort, an dem sich der Imiut-Fetisch befand. Es ist die Zeremonie der Begegnung zwischen Maat-ka-Ra und Anubis.

Szene 4

Auch diese Abbildungen zeigen starke Zerstörungen. Zu erkennen sind Opfergaben, säuberlich gelagert neben dem Imiut-Fetisch.

Das Bild ist nahezu identisch mit dem Bild des Imiut-Fetisch an der Rückseite des Vestibüls. Es zeigt ihn in einem Raum, wobei die gewählte Perspektive wirkt, als würde man durch die Tür in den Raum hineinsehen. Ergänzt sind hier allerdings die Opfergaben.

Beschrieben wurde wohl das Ergebnis der Zeremonie, in der Maat-ka-Ra regelmäßig Opfer in den Anubis-Tempel brachte, die in den Räumen hinter dem Vestibül gelagert wurden. Das unterstreicht auch die Überschrift über dem Tor zum Vestibül. Sie nennt dieses Tor »Tür der Hatschepsut zum Haus des Anubis, in dem die konservierten Speisen gelagert sind« (freie Übersetzung der formelhaften Inschrift).

Wir erkennen in der Abfolge der Szenen die durchgehende, gradlinig erzählte Geschichte einer Zeremonie, die auf diese Weise auch tatsächlich praktisch gelebt wer­den konnte. Vielleicht hat es sich so abgespielt? Maat-ka-Ra erscheint vor dem Tempel. Dort wird sie von Anubis-Priestern in die Säulenhalle geführt, in der zunächst Rituale der Begrüßung, des Beschenkens, der Anbetung und des Segnens stattfinden. Durch das »Tor der Hatschepsut« wird sie ins Sanktuar geführt, wo sie Anubis in Form des Imiut-Fetisch begegnet. Die rituellen Handlungen enden mit der Hinterlassenschaft der Opfergaben der Maat-ka-Ra, die von den Priestern im Annex und im Sanktuar aufbewahrt wer­den: konservierte Speisen und Getränke, die lange hal­ten, mindestens jedoch bis zum nächsten Besuch der Maat-ka-Ra.

Wir wissen natürlich nicht, ob es sich jemals so abgespielt hatte, aber es wäre so durchaus vorstellbar. Nur: Was hat Sokar in dieser Geschichte verloren?

Der Beitext über dem Sokar-Bild in den Spalten 1 bis 4 gibt keine Auskünfte. Die Ehrentitel und Lobpreisungen sind keineswegs typisch für Sokar. Sie passen zu vielen Göttern und sind eher Ausdruck des religiösen Rituals, Formeln der Ehrung und der Ansprache, als die konkrete Beschreibung einer Gottheit. Der Name wäre fast beliebig austauschbar. Wie leicht er an der Wand ersetzt wor­den sein kann, beweisen die ausgetauschten Kartuschen der Maat-ka-Ra.

Spannend ist: Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass der Kopf des Got­tes Sokar überarbeitet erscheint. Denkt man sich diesen Kopf einmal weg, passt der restliche Teil des Körpers auch zu anderen Göttern. Vergleicht man die abgebildeten Gottheiten in der Anubis-Halle, ist festzustellen, dass ihre menschlichen Körperteile alle sehr ähnlich, nahezu identisch ausgearbeitet sind. Bei der Figur des Sokar gibt es fast völlige Übereinstimmungen mit dem Körpern des Anubis in dieser Halle, bis hin zu Haltung der Hände und bis hin zum Was-Zepter.

Kann es sein, dass ursprünglich in diesem Bild Maat-ka-Ra vor Anubis stand? Doch warum begnügte sich Thutmosis dann nicht damit, sich vor Anubis zu zeigen? Hatte Anubis für Maat-ka-Ra einen so hohen Stellenwert, dass er allein dadurch die Wertschätzung des Thutmosis verlor? Oder wollte Thutmosis sehr einfach begründen, warum er die Priesterschaft des Anubis-Tempels nicht länger unterstützte und die Rituale seiner Stiefmutter nicht fortsetzen wollte?

Das jetzige Bild jedenfalls erzählt diese Geschichte: Thutmosis III. opfert Sokar. Von ihm erhält er das »Was«. Sokar ist für Thutmosis der Herr des Himmels, der Herr seiner Fröhlichkeit und der Herr seiner Gesundheit. Das macht die Haltung von Thutmosis plakativ sichtbar für alle, vor allen aber für die Priesterschaft in Djeser-djeseru und im Anubis-Tempel, in der heute so genannten unteren Anubis-Halle.

Diese überarbeitete Szene begründet den Glauben von Thutmosis und sie erklärt sein Handeln. Sie drückt unmissverständlich aus: Dieser Tempel ist geschlossen. Die Anubis-Zeremonien finden hier nicht länger statt. Thutmosis opfert seinem glücksverheißenden Gott Sokar, nicht dem Anubis.

Fazit

Unklar ist zunächst: Wieso erscheint Sokar zeitlich und örtlich verschoben und scheinbar so völlig unmotiviert an einer Wand, die sonst nur Bilder der Hatschepsut und des Anubis zeigt? Was macht Sokar in Deir el-Bahari? Genauer noch: Was macht er in der Anubis-Halle?

Diese Fra­gen genügen um innezuhalten und sich die Textstelle, wo der Name Sokar genannt wird, und das Götterbild genauer anzusehen.

Das Ergebnis der Überlegungen ist einfach: Thutmosis schafft Ordnung. Zu diesem Ordnungsverständnis gehört es, dass er sich selbst als alleiniger Pharao von Ägypten plakativ ausweist. Maat-ka-Ra, die zeitlebens sehr volksnah agierte und offensichtlich in der Gunst der Priester und der Bevölkerung nach ihrem Tod besondere Anerkennung erfahren hatte, darf nicht zum Mitbewerber oder gar zum Makel seiner Regentschaft wer­den. Maßnahmen, wie die Schließung des Anubis-Tempel bzw. aller Tempelstätten in Djeser-djeseru, die Errichtung seines eigenen Tempels in Deir el-Bahari als Ersatz dafür und die Ausweitung des Amun-Kultes in Karnak gehören dazu.

Die Überarbeitungen der Bilder und Texte aus der Zeit der Maat-ka-Ra sind allein politisch motiviert mit dem Zweck, die klare Weltordnung zwischen Bevölkerung, Priestern, Pharao und Göttern wieder herzustellen oder zu festigen. Der Sinn der monumentalen Bilder und Texte an den Wänden der Tempel ist es, dafür Propaganda zu betreiben. Es ist Marketing und Werbung für die Person des Pharao. Die Beschreibung wichtiger Ereignisse und die Erläuterung von Handeln und Entscheidungen vertiefen die spirituelle Beziehung zwischen Volk, Priestern und Pharao, der als Mittler zwischen Menschen und Göttern fungiert.

Unter dieser Annahme erklärt und begründet die Sokar-Szene die politische Entscheidung des Thutmosis, die religiösen Zeremonien und Handlungen in Djeser-djeseru aufzugeben.

Fortsetzung in den Teilen 1 und 3 bis 4

Teil 1:

  • Djeser-djeseru – Tempel für viele Millionen Jahre, Tempel des Amun, der Erhabenste der Erhabenen, so nannten die Ägypter die Tempelanlage in Deir el-Bahari auf der Westbank der alten Königsstadt Theben, dem heutigen Luxor. Im ersten Teil stellen wir Ihnen die Tempelanlage überblicksartig vor.

Teil 2:

  • Traurige Berühmtheit erfuhr der Tempel der Hatschepsut am Morgen des 17. November 1997, als ein sechsköpfiges Killerkommando der islamistischen Gama'at al-Islamiyya (Islamische Vereinigung) mit Sturmgewehren und Maschinenpistolen in die Touristenmenge am Fuße des Tempels schießt. 58 Touristen, darunter vier Deutsche, sowie vier ägyptische Polizisten und Zivilisten kommen dabei ums Leben.

Teil 3:

  • Die Vorstellung von einem Leben nach dem Tode bestimmte den universalen Machtanspruch der Pharaonen und ihr Dasein zu Lebzeiten. Der Totenkult prägte das Leben. Do wo sind Hatschepsut und Senenmut begraben? Wie unterscheiden sich die Tempel der Maat-ka-Ra und des Mentuhotep II.?
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