Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Eine Bildbesprechung
Dem Psalter ist im Psalm 1 ein Bild vorangestellt, das König David zeigen soll. Der Druckstock ist als Holzschnitt erstellt worden, der die Maße ca. 15 x 11 cm besitzt.
In der Lutherbibel von 1545 kam der selbe Holzschnitt zum Einsatz, der bereits in früheren Auflagen verwendet wurde, so auch in der ersten Gesamtausgabe von 1534.
In der Ausgabe von 1534 wurde der Druck nachträglich von Hand aufwendig koloriert. Dadurch treten die Feinheiten des detailreichen Bildes deutlich hervor. Gleichzeitig vermittelt das kolorierte Bild einen bemerkenswerten Eindruck Räumlichkeiten, die dem Künstler als Vorlage für sein Motiv dienten. Es ist ein Blick in die Zeit Luthers.
Wir zeigen hier zum Vergleich beide Bilder aus dem Psalter:, den Schwarzdruck aus der Ausgabe von 1545, und den nachträglich kolorierten Druck aus der Ausgabe von 1534.
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Abbildung 1: Titelbild des Psalters in Luthers Biblia von 1545.
Abbildung 2: Titelbild des Psalters in Luthers Biblia von 1534.
Der Holzschnitt zeigt König David als Psalmensänger mit Harfe. Die Haltung der Finger lässt erkennen, dass die Saiten gerade gezupft, die Harfe gespielt wird. Vor David liegt aufgeschlagen der Psalter, der die Lieder enthält, zu denen die Harfe gespielt wird. Rechts auf den Kissen liegen die Insignien des Königs, die Symbole seiner Macht und Herrschaft: Schwert und Krone.
Der Raum ähnelt den Räumen, die etliche andere Holzschnitte der Lutherbibel zeigen. Zu sehen sind typische Elemente der Einrichtung eines reich ausgestatteten Patrizierhauses, eines Schlosses oder einer Burg. Die Wände sind mit kostbaren Tüchern, Bordüren und Wandteppichen aus Brokat verhangen. Die Fenster sind mit grünen Butzenscheiben verglast, wie es zu Luthers Zeit üblich war.
Durch das offene Fenster ist am Himmel Gott oder Jesus zu sehen, auf einer Wolke thronend, dem das Lied Davids gewidmet ist.
Vier Symbole weisen neben kostbaren, königlich anmutenden Gewändern darauf hin, dass die Person im Bild König David ist: Die Harfe, die Krone, das Schwert und das aufgeschlagene Buch, das in diesem Zusammenhang nur als Liederbuch interpretiert werden kann.
Am Himmel haben sich die Wolken aufgetan. Durch einen übergroßen Nimbus, den Heiligenschein, ist diese Person eindeutig als göttliche Person gekennzeichnet. Sie trägt einen Umhang, einen Mantel. In der kolorierten Version ist zu erkennen, wie sich der Künstler den Mantel farblich gedacht hat. Der Mantel ist rot, genauer: er ist purpurfarben.
Während allerdings im Schwarzdruck von 1545 die Person eher reif und älter wirkt, versehen mit dem mächtigen Vollbart beinahe väterlich anmutet, scheint die kolorierte Version einen jüngeren Mann zu zeigen.
In der Version von 1545 deuten alle Attribute auf Gott hin, der hier zu sehen ist.
In der Version von 1534 ist »der Messias« zu sehen. Hier ist die Idee Luthers verbildlicht, die er in seiner Vorrede erläutert hatte. Die Psalmen (insbesondere die messianischen Psalmen) verkünden den kommenden Messias, sie beziehen sich in allen prophetischen Aussagen auf Christus:
»VND ſolt der Pſalter allein des halben thewr vnd lieb ſein / das er von Chriſtus ſterben vnd aufferſtehung / ſo klerlich verheiſſet / vnd ſein Reich vnd der gantzen Chriſtenheit ſtand vnd weſen furbildet.« (M.Luther, Vorrede auf den Psalter)
Die göttliche Person in den Wolken ist somit eindeutig Jesus Christus, was in der kolorierten Fassung mit dem roten Mantel unterstrichen wird. Den roten Mantel finden wir in der Erzählung von der Die Geißelung und Verspottung Jesu (Joh 19,1-5). Er ist das Symbol für die königliche Herrschaft, für den König selbst.
Doch wie kann König David sich so unmittelbar an Jesus Christus wenden? Die Evangelien beantworten diese Fragen mehrfach. So beispielsweise in Joh 8,58: »Jheſus ſprach zu jnen / Warlich / warlich ich ſage euch / Ehe denn Abraham ward / bin ich.«
Eine andere wichtige Stelle ist Psalm 110,1. In diesem Lied formuliert König David: »Der HERR ſprach zu meinem HErrn / Setze dich zu meiner Rechten / Bis ich deine Feinde zum ſchemel deiner Füſſe lege.« Das erste HERR (nur Großbuchstaben) meint Gott, den Schöpfer. Das zweite HErr meint Jesus, den Messias. Dieser Text wird in den Evangelien mehrfach zitiert und auf diese Weise interpretiert, um die Christusfrage zu erörtern, so in Mk 12,35-37, Mt 22,41-45 und Lk 20,41-44.
Es scheint egal, wer letztendlich gemeint und abgebildet ist. Die Parallelbetrachtung der beiden Bilder aus den Ausgaben von 1534 und 1545 erinnert an den Ausspruch Jesu in Joh 10,30: »Ich vnd der Vater ſind eines«.
Sinn der Titelbilder war es, den jeweiligen Autor umfänglich vorzustellen, ohne ein einziges Wort dem gedruckten Text hinzufügen zu müssen. Zwar stammen die Psalmen von verschiedenen Autoren, doch fast die Hälfte der Psalmen (73 von 150) wird auf König David zurückgeführt. Er ist damit der bedeutendste Autor im Psalter, und nicht zuletzt wegen dieser Abbildungen auch der bekannteste.
Wie die übrigen Abbildungen in den Lutherbibeln jener Zeit ist auch dieses Bild vollgestopft mit Informationen, die im Wesentlichen über Symbolik transportiert werden. Die Bilder sind hochgradig verdichtete Informationsträger und keineswegs nur schmückendes Beiwerk.
Die Künstler, die diese Bilder entworfen hatten, waren Meister der Mediengestaltung. Sie nutzten kleinste Flächen, um ganze Geschichten zu erzählen. Sie schnitten mit einem Stecheisen aus einem kleinen Holzblock derart genau, dass die vielen Details auf dem Zielmedium im Druck trotz dicker Druckerschwärze und faseriger Papiere erkennbar blieben!
Verstand man es, diese Bilder »zu lesen«, konnten daraus wieder die Geschichten entwickelt und nacherzählt werden. Dies war vor allem für jene Betrachter wichtig, die des Lesens unkundig waren oder Hilfen benötigten, um die durchaus schwierigen Texte der Bibel zu verstehen. Die Bilder waren ein wichtiger Anreiz dafür, die Texte zu lesen oder Lesen zu lernen, und trugen so erheblich zur Bildung ganzer Bevölkerungsgruppen bei.
Luther schätzte den Psalter als Sammlung vieler Stücke, die beispielhaft von Glauben und vom Leben Gläubiger erzählen. Viele Stellen weisen auf Christus hin und prophezeien sein Kommen.
Luther erklärt die Bedeutung des Alten Testaments und der Gesetze Mose. Diese Schriften seien für Christen sehr nützlich zu lesen, nicht zuletzt deshalb, weil Jesus, Petrus und Paulus mehrfach daraus zitieren.