Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Eine Bildbesprechung
Dem 2. Buch Mose ist im 16. Kapitel ein Bild beigefügt, das die Speisung der Israeliten durch Gott mit Wachteln, Manna und Wasser in der Wüste zeigt. Der Druckstock ist als Holzschnitt erstellt worden, der die Maße ca. 15 x 11 cm besitzt.
Wir zeigen hier eine aufbereitete Reproduktion des Bildes, das in der Lutherbibel von 1545 unkoloriert abgedruckt wurde.
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Abbildung: »Die Speisung der Israeliten in der Wüste mit Wachteln, Manna und Wasser«
Bild zum 2. Buch Mose, Kapitel 16, in der Lutherbibel von 1545.
Mehr als eine Million Menschen hatten sich auf den Weg gemacht (vgl. 4Mos 1, Die große Zählung). Die Israeliten verließen unter der Führung von Mose ihre Siedlungen im ägyptischen Nilgebiet. Sie zogen ostwärts Richtung Sinai.
Durch ein Wunder und Gottes Führung gelang es ihnen, dem ägyptischen Heer zu entkommen, das ihnen inzwischen gefolgt war (2Mos 14).
Das Schilfmeer lag nun hinter ihnen. Gerade noch hatten sie ihre wundersame Rettung gefeiert und in vielen Dankesliedern besungen (2Mos 15), da machten sich in der Wüste ganz neue Sorgen breit.
So viele Menschen wollen versorgt sein. Die wenigen Vorräte, die sie mit sich führen konnten, waren schnell aufgebraucht. Die ersten Lagerplätze, die sie jenseits des Schilfmeeres erreicht hatten, waren noch reich an Wasserquellen und Palmbäumen (2Mos 15,27). Doch der Weg führte sie in die Wüste, die weder Nahrung noch Wasser bot.
Das Volk fürchtete, zu verhungern. Die Menschen beklagten sich lauthals bei Moses und Aaron (2Mos 16,2). Ihre Not war groß.
Da versprach Gott, sich zu kümmern. Er wollte dafür sorgen, dass die Israeliten jeden Abend Fleisch, und jeden Morgen Brot zu essen hatten.
SO geschah
es:
An jedem Abend fielen Schwärme von Wachteln in die Lagerplätze ein, die matt und müde am Boden saßen und nur noch eingesammelt werden mussten (2Mos 16,13a).
An jedem Morgen, wenn der Tau abgetrocknet war, fand sich rings um das Lager Manna, das nachts vom Himmel gefallen sein musste (2Mos 16,13b-15). Kleine Körner, die wohl wie Getreide verarbeitet werden konnten, und aus denen gekocht ein Brei oder gebacken Brot hergestellt wurde (2Mos 16,23b).
Vierzig Jahre lang ernährten sich die Israeliten auf diese Weise (2Mos 16,35).
Aber Nahrung allein genügt nicht. Und wieder beklagten sich die Menschen: Es fehlte an Wasser (2Mos 17,1-3).
Da versprach Gott erneut, sich zu kümmern. Er wollte Mose die Macht geben, aus scheinbar trocknen Felsen und sandigen Böden Quellen sprudeln zu lassen (2Mos 17,4-6a).
Und so geschah es (2Mos 17,6b).
Das Bild zeigt die wesentlichen Inhalte beider Erzählungen gleichzeitig: Im Vordergrund die Geschichte der Speisung mit Wachteln und Manna, im Hintergrund die Erzählung, in der Mose mit seinem Stab eine Quelle erschließt.
Das Bild beginnt links oben:
In der Nacht fiel Manna vom Himmel, das am frühen Morgen, nach dem der Tau getrocknet war, wie Reif den Boden bedeckte.
Im Vordergrund ist das Zeltlager der Israeliten zu sehen, das sie in der Wüste Sin aufgeschlagen hatten.
Links sammeln die Israeliten morgens in aller Frühe das Manna in ihre Körbe.
In der Mitte befindet sich Moses, erkennbar an seinem langen Stab. Er spricht mit Aaron, den die priesterliche Kleidung auszeichnet. Beide wurden von den Israeliten, die ihren Hungertod fürchteten, bedrängt. Beide drücken nun aus, worum es im Kern der Geschichte geht: Das Vertrauen auf Gott, denn sie selbst hätten nicht die Macht gehabt, sich um Fleisch, Brot und Wasser zu kümmern.
Der rechte Bildteil zeigt die Vorgänge am Abend: Zahlreiche Wachteln haben sich im Lager niedergelassen, die nun von den Israeliten gefangen und eingesammelt werden.
Im Hintergrund rechts ist zu erkennen, wie Mose in Gegenwart etlicher Stammesältester mit seinem Stab gegen den Felsen nahe dem Berg Horeb schlägt. Eine Wasserquelle sprudelt aus dem Felsen.
Das Bild endet rechts oben:
Oben auf dem Berg, umhüllt von Wolken, sitzt Gott, dessen Gegenwart dieses Bild wie auch die Erzählungen selbst dominiert. Das Bild erklärt: Er ist da, er beobachtet, er ist ansprechbar, er greift ein, er hilft in Not, er handelt.
Den Nutzen haben viele, auch die, die ihm nicht vertrauen. Doch die Hilfe begründet sich in denen, die ihm vertrauen und um seine Hilfe bitten. In diesem Fall stehen dafür zentral im Bild Mose und Aaron.
Der Künstler hatte die Wüste nicht ganz so karg und unfruchtbar gezeichnet, wie wir uns Wüsten vorstellen. Tatsächlich gibt es in Wüsten durchaus spärliche Vegetation oder deren geballte Entfaltung in den Oasen.
Bäume kommen in der Erzählung nur einmal vor: als Palmbäume. Dies mag dem Künstler Anreiz gewesen sein, doch einige Pflanzen in das Bild zu malen, wenn sie auch eher einem mitteleuropäischen Mischwald zu entstammen scheinen.
Aber genau jene Elemente sind es, die die biblischen Erzählungen in den Lebensbereich der Leser und der Bildbetrachter rücken. Sie heben die große, für die Leser jener Zeit unvorstellbare Distanz zu den historischen Orten vollständig auf. Sie ermöglichen es, dass der Betrachter das Bild in seine Lebenswirklichkeit transportieren und seine Rolle darin finden kann.
So sind auch die Menschen zeitgemäß gezeichnet. Wir erkennen Bauern, die am Boden kniend wie bei der Rübenernte etwas in die typischen Körbe jener Zeit sammeln. Wir sehen Frauen, die Wäschekörbe auf dem Kopf tragen. Wir sehen Szenen, wie sie sich auf einem Markt zugetragen haben, wo Einkäufe getätigt werden und Verkäufer Taschen befüllen. Wir sehen Vogelfänger bei der Arbeit, wenn auch Zeltwände die Netze ersetzen.
Dem Leser wird klar: Die Gegenwart Gottes gilt jetzt. Die religiösen Führer, die Priester (vertreten im Bild durch Aaron), kümmern sich noch immer. Sie tun gut daran, der Verkündigung des Evangeliums zu folgen, wie im Bild Aaron dem Mose gehorcht. Der Priester gehorcht dem gelehrten Weisen, der Gottes Wort verkündet. Die Laien (die Menschen aus dem Volk) brauchen die Früchte der göttlichen Gnade nur einzusammeln.
Die Bilder zeigen meist mehrere Szenen aus einem Buch oder Kapitel gleichzeitig und führen den Leser visuell in Stoff ein.
Die Künstler, die diese Bilder entworfen hatten, waren Meister der Mediengestaltung. Sie nutzten kleinste Flächen, um ganze Geschichten zu erzählen. Sie schnitten mit einem Stecheisen aus einem kleinen Holzblock derart genau, dass die vielen Details auf dem Zielmedium im Druck trotz dicker Druckerschwärze und faseriger Papiere erkennbar blieben!
Verstand man es, diese Bilder »zu lesen«, konnten daraus wieder die Geschichten entwickelt und nacherzählt werden. Dies war vor allem für jene Betrachter wichtig, die des Lesens unkundig waren oder Hilfen benötigten, um die durchaus schwierigen Texte der Bibel zu verstehen. Die Bilder waren ein wichtiger Anreiz dafür, die Texte zu lesen oder Lesen zu lernen, und trugen so erheblich zur Bildung ganzer Bevölkerungsgruppen bei.
Luther erklärt die Bedeutung des Alten Testaments und der Gesetze Mose. Diese Schriften seien für Christen sehr nützlich zu lesen, nicht zuletzt deshalb, weil Jesus, Petrus und Paulus mehrfach daraus zitieren.